Lea Weber

Wie schön es sein muss, Krallen zu haben

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Das Zimmer meiner Mutter ist stickig und dunkel, wir lüften höchstens zweimal am Tag. Ihr darf nicht zu kalt werden. Als ich den Raum betrete, stolpere ich über das Kabel, das jetzt von der Mehrfachsteckdose quer durch den Raum zu ihrem Nachttisch verläuft.
„Scheiße“, fluche ich leise und drücke auf den Schalter der neuen Heizdecke. Sie darf nicht über Nacht eingeschaltet sein. Sonst fängt der hässliche, dunkelrote Stoff an zu brennen, dann das Bett, das Zimmer, die Wohnung. Ich lege zwei Wolldecken über die Beine meiner Mutter und drücke ihre kleine Hand. Auf dem Weg zurück stolpere ich wieder über das Kabel.


Wenn meine Mutter wach ist, läuft der Fernseher. Sie liebt diese Kochshows mit Leuten, die keine Profiköche sind. Solche Shows, die witzig sind, wenn man gerade den Fernseher eingeschaltet hat, und die einem den Rest geben, wenn man schon den ganzen Tag Fernsehen guckt.
„Das sieht aber lecker aus“, sagt sie, egal welches Gericht, egal welche Gewürze, egal ob verkocht oder nicht.
Früher hätte ich sowas gesagt wie: „Man kann doch nicht alles gut finden, was andere Leute machen.“ Jetzt zwinge ich mich, an etwas anderes zu denken, an den Kartoffelbrei, an dem ich mir früher die Zunge verbrannt habe. Ich merke, dass sie auf meine Antwort wartet.
An der Garderobe hängt ihre Regenjacke, die sie seit einem halben Jahr nicht mehr trägt. Schnell nehme ich sie vom Haken, rolle sie ein und trage sie heimlich in mein Zimmer, wie mit 14 die erste Flasche Sekt aus dem großen, gläsernen Wohnzimmerschrank. Meine Mutter verlässt die Wohnung nur noch, um ins Krankenhaus zu fahren, und trägt dann ihren dicken beigefarbenen Mantel, den ich so hasse.


„Du musst dir Gedanken machen, was passiert, wenn sie nicht wieder gesund wird“, hat die Frau mit der runden Brille im Krankenhaus gesagt und mir dabei lang in die Augen geguckt. „Sie braucht viel Ruhe. Und keinen Stress.“
Dann hat sie auf meine Antwort gewartet. An der Wand hing ein Bild von einem Eichhörnchen, wie es mit den Hinterbeinen auf einem Ast steht und in den kleinen Pfoten eine Walnuss hält.
„Wenn Menschen sterben, sind sie trotzdem noch da. Hier.“ Sie legte ihre Hand wie in Zeitlupe auf die linke Brust, zog dann ihre Brille von der Nase und ihr Kinn nach unten. „Oder als Windstoß im Baum oder als Sonnenstrahl an einem dunklen Tag.“
Das Eichhörnchen sah aus wie ein Kuscheltier, viel zu weich, und die glänzenden Augen wie Knöpfe. Die Frau folgte meinem Blick und drehte sich auf dem Bürostuhl zum Bild.
„Glaubst du, dass sie in etwas anderem weiterleben wird?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich würde jetzt gehen, wenn das okay ist.“
„Natürlich.“ Sie gab mir ihre schwitzige Hand und schob mich aus dem Raum.


Von der Straße höre ich den Jingle von Marinas Lieblings-Radiosender und renne raus, meine Tasche baumelt über der Schulter, darin nur Fußballschuhe und die eingerollte Regenjacke.
„Was geht“, sage ich und drücke von der Seite auf den Startknopf, der Motor geht an. „Wann lässt du mich endlich fahren?“
„Niemals vor deinem 18. Geburtstag.“
„Ich weiß, dass ich das kann.“ Ich drehe die Lautstärke auf. „Und wie kann ein Auto immer so dreckig sein? Wenn du mir Geld gibst, mache ich es sauber.“
An meinen Füßen liegen zusammengeknüllte Tüten vom Bäcker, leere Pfandflaschen, auf dem Armaturenbrett kleben Fingerabdrücke.
Marina ignoriert mich und pfeift den Refrain von It’s Raining Men mit.


In der Kabine setze ich mich unter den Spiegel, da, wo man Haarspray von den anderen ins Gesicht kriegt. Jede Spielerin hat ihren festen Platz, auch wenn niemand über diese Sitzordnung spricht. Die Kabine riecht nach Schweiß, egal wie viel wir lüften. An der Wand hängen Fotos in staubigen Rahmen: das Männerteam von der erfolgreichen Saison 2005. Weil Marina die Bluetoothbox vergessen hat, läuft die Party-Playlist nur über Handy-Lautsprecher.
„Es regnet“, ruft Martin vom Flur rein. Martin ist ein Lappen. Er macht keine Übungen vor und spielt auch nie mit. Wenn ich mit meiner Mutter Fußball gucke, beobachte ich die Trainer, wie sie in Nahaufnahme schreien oder wie sie beim Jubeln hochspringen. Die Adern auf ihrer Stirn und die Fäuste, die sie in die Luft reißen. Martins Gesichtsausdruck bleibt immer gleich, und seine Hände versteckt er in den langen Ärmeln seiner Jacke.

Wir trainieren auf dem „schlechten Rasen“, keine Linien, die Tore ohne Netze, wir müssen uns das Feld mit den Bambinis teilen. Die Jacke passt perfekt, auch meine Oberschenkel bleiben trocken. Marina und ich spielen uns den Ball zu, schießen ihn hoch in den Himmel und versuchen ihn trotzdem mit einem Kontakt anzunehmen. Beim Aufwärmen kommt Linn dazu, sie begrüßt mich nicht. Als wir uns im Kreis dehnen, sage ich so laut, dass es alle hören: „Warum ignorierst du mich eigentlich?“
Linn verdreht nur die Augen. Alles, was wir nicht sagen, handeln wir beim Abschlussspiel aus, nehmen jeden Zweikampf an, einmal grätscht sie sogar, dann ruft Martin: „Sowas machen wir nicht im Training!“

Marina braucht ewig, um zu duschen, sie hat immer vier Flaschen mit Pflegeprodukten dabei, die sie nacheinander in der Duschkabine auf ihre glatten, dünnen Haare aufträgt. Als das warme Wasser mal wieder ausfällt, schreien alle kurz auf. Ich sitze auf der Holzbank, tausche nur meine Fußballschuhe gegen meine Adidas Tennis Pro. Niemals würde ich hier duschen.
Nachdem Marina jede Haarsträhne trockengeföhnt hat, laufen wir zum Auto. Während der Fahrt schaue ich aus dem Fenster, denke wieder an die Heizdecke und die Flammen. Draußen ziehen Felder vorbei, Bauernhöfe, die immer gleiche Strecke.

Als das Krankenhaus im Sommer angerufen hat, waren wir zwischen der Autobahnauffahrt und der Tankstelle. Nach den ersten Sätzen war es, als würde das Auto anfangen zu fliegen und dann ganz langsam abstürzen. Marina, wie sie mich zum Krankenhaus gebracht hat, immer wieder von der Seite in meine Richtung geguckt hat. Das Krankenhaus mit seinen kalten Gängen und meine Mutter in dem weißen Bett. Die Frau mit der runden Brille.
Marina parkt vor meiner Haustür, und ich nehme meine Tasche.
Sie hält mich am Arm fest: „Wenn was ist, sag es mir.“
Schnell reiße ich die Autotür auf und steige aus. „Bis morgen.“

Dieses Mal stolpere ich nicht über das Kabel. Die Augen meiner Mutter sind halb of-fen, obwohl sie schläft. Früher habe ich Fotos von ihren Lidern gemacht, mit Blitz, und danach auf den kleinen Spalt rangezoomt. Wie ein Krater, dahinter milchige Masse. Jetzt lege ich mich neben sie und mache ein Selfie von uns beiden, versuche meine Augen genau gleich weit aufzumachen wie sie. Ich schicke es auf ihr Handy. Dann fällt mir ein, dass es ausgeschaltet ist. Auf dem kleinen Regalbrett an der Wand liegt ihre Palette mit Lidschatten. Ich teste die Farben auf meinem Unterarm und stecke die ganze Schachtel in die Vordertasche von meinem Pulli.
Den hellgrünen Lidschatten trägt sie auf dem Foto, das im Flur hängt. Sie sitzt im Cabrio von ihrem Bruder, im Hintergrund hellblaues Meer, die Sonnenbrille hält ihre lockigen Haare zurück.

Das war eine Ausnahme, sage ich in Gedanken zu der Frau aus dem Krankenhaus mit der runden Brille. Am liebsten war sie in der Wohnung, vor dem warmen Heizkörper. Direkt sehe ich die zusammengekniffenen Augen der Frau hinter ihrer runden Brille, stelle mir vor, wie meine Mutter sich vor ihr rechtfertigen würde. Und sie muss dir gar nichts beweisen.

Mein Onkel hat uns nach dem Urlaub versichert, dass er nie wieder mit uns wegfährt, immer und immer wieder gesagt, dass wir das Cabrio nicht ohne ihn hätten fahren dürfen, dass wir ihm hätten Bescheid sagen müssen. Meine Mutter und ich haben darüber gelacht und dann das Foto in den Flur gehängt.


Als ich am nächsten Tag aus der Schule komme, ist der Pflegedienst da.
„Ihrer Mutter geht es nicht gut. Wir bringen sie sicherheitshalber ins Krankenhaus.“
Ich nicke, keine Ahnung, was das bedeutet: „Kann ich mitkommen?“
Ich muss mit dem Bus hinterherfahren und schreibe Marina, dass ich es nicht zum Training schaffe. Nur ein Wort, und sie würde mitkommen.
Während meine Mutter untersucht wird, lege ich mich in ihr weißes Bett mit den tausend Griffen und Henkeln. Die Süßigkeiten, die ich im Krankenhaus-Kiosk gekauft habe, hole ich aus den Packungen und sortiere die Gummibärchen nach Farben. So saß ich früher da, wenn ich im Studio auf das Ende ihrer Schicht gewartet habe, sage ich zu der Frau mit der runden Brille. Habe so lang den Geruch von Nagellack und Tönung und Farbe eingeatmet, bis ich dachte, dass ich ersticke.

„Ich habe Angst, dass die Heizdecke irgendwann anfängt zu brennen“, sage ich zu meiner Mutter, als sie sich neben mich ins Bett legt.
„Die ist doch geprüft“, antwortet sie, „da sind so kleine Zettel dran.“
„Wie kannst du denken, dass dann nichts passieren kann“, fährt es aus mir heraus. Dann denke ich an die Frau, an das Eichhörnchen, wie es unschuldig seine Nuss festhält. Wie kann man immer anderen Menschen glauben.
„Warum ist deine Zündschnur so kurz“, sagt sie und streicht mir die Haare hinter das Ohr.
Ich erstarre – weil wir so nicht sind, wir sind nicht eine solche Mutter und ein solches Kind, wir kuscheln nicht abends auf dem Sofa, wir sind nicht wie die Familien in den Werbespots, die sich beim Spielen abklatschen. Ich sage aber nichts, ich mache den Fernseher an, Kevin allein zu Haus, und als sie eingeschlafen ist, gehe ich.
Sie war gerne allein, sage ich zu der Frau mit der runden Brille, sie war am liebsten allein. Aber wenn sie mal ausgegangen ist, wenn sie gesagt hat: „Ich will was erleben“, dann hat sie sich geschminkt, ihren Silberschmuck angelegt und vor dem Spiegel getanzt.

Auf meinem Bildschirm ist eine Nachricht von Marina: Wir sind noch im Vereinsheim.
Schnell tippe ich: Ist Linn da?
Sie schickt Daumen hoch. Ich steige trotzdem in den Bus.

Das Vereinsheim riecht nach altem Fett, an der Wand hängen die gleichen Fotos wie in der Kabine, und es gibt nur Bier aus dem Fass. Die anderen sitzen auf Stühlen mit hässlichen Holzverzierungen an einem großen Tisch. Ich gebe allen nacheinander die Faust. Nur noch der Stuhl neben Linn ist frei. Marina versucht meinen Blick einzufangen. Zum Glück sitze ich zwischen Linn und Yasemin, zum Glück wissen sie nichts über mich, zum Glück können sie gar nicht erst nach dem Krankenhaus fragen.
„Wie lang willst du mich noch ignorieren?“, frage ich Linn und tätschele leicht ihre Schulter.
„Du bist schlimm.“ Sie legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel und kippt dabei ihr leeres Glas um.
„Ihr nervt“, sagt Yasemin und dreht uns den Rücken zu, „nehmt euch einfach ein Zimmer.“

Linn und ich hatten ein Zimmer, ihr Schlafzimmer unter dem Dach, wir hatten das große Bett unter dem Fenster und die verschwommenen Nächte, in denen immer eine von uns kotzen musste.

Nach meinem ersten Bier gehe ich aufs Klo, ziehe vor dem Spiegel die Lidschatten-Palette aus der Tasche und schminke mich mit dem hellen Blau. Am liebsten würde ich mich umziehen, mich verkleiden, raus aus dem Vereinsheim und von Bar zu Bar gehen. Wenn ich Linn fragen würde, würde sie mitkommen. Und morgen wäre sie wieder sauer.
Als ich mich an den Tisch setze, exe ich das zweite Bier.
„Also ich war nicht so mit 17“, sagt Linn.
„Schön für dich.“ Ich zerreiße meinen Bierdeckel.
Dann legt Marina ihre Hand auf meinen Rücken: „Komm mal mit, komm.“
Sie zieht mich in den Raum mit den Pokalen. Goldene Bäuche, unleserliche Aufschriften, alle verstaut in Vitrinen. Mein erster Pokal, mit der Aufschrift Torschützenkönigin, und wie ich ihn mit ins Bett genommen habe, neben mir zugedeckt habe. Meine Mutter, wie sie auf der Tribüne sitzt, in der Hand einen Pappbecher mit Kaffee. Wie sie Abstand zu den anderen Eltern hält, die wissen, was man in der Sporthalle macht, die den Trainer abklatschen und ihren Kindern die Schuhe binden.
„Entweder du sagst mir, was los ist, oder du reißt dich zusammen“, sagt Marina. Ihre dünnen Haare hängen lose in einem Dutt an ihrem Hinterkopf.
„Alles klar, Chef“, sage ich, gehe aus dem Raum und fahre dabei mit dem Zeigefinger über die eingestaubten Scheiben.


Damit meine Mutter nicht allein im Krankenhaus ist, schwänze ich die Schule. Im Hintergrund läuft Frühstücksfernsehen. Ein Mann in grüner Hose, der durch den Wald stapft, in die Hocke geht und auf den Boden zeigt: „Die machen das, damit ihnen niemand was wegnimmt. Die suchen sich ein Versteck und da buddeln sie alles ein. Das wissen nur sie selbst, wo ihre Nüsse sind.“
Ich packe die Krankenhaustasche meiner Mutter aus, die früher ihre Sporttasche war. Darin ein Schlafanzug, ein Kulturbeutel mit den gleichen Kosmetikprodukten wie zuhause, ein Buch, das sie niemals lesen wird. In der Seitentasche ist der kleine Beutel mit Schmuck: silberne Ketten und Ohrringe.
Ich stelle mir den fragenden Blick von der Frau mit der runden Brille vor. Meine Mutter hat vier Ohrlöcher in jedem Ohr. Wenn sie ausgegangen ist, war sie am nächsten Morgen ruhig, sie hat mir einen Kakao ans Bett gebracht, und einmal hat sie gefragt: „Bin ich eine schlechte Mutter?“

Der Mann in Grün spricht über den Reichtum und den Frieden der Wälder. Plötzlich fängt meine Mutter an zu würgen, gelbes Wasser klatscht auf den Boden, als ob eine Welle aufs Deck schlägt.
„Alles gut, alles gut“, ich streichele ihren Rücken. Aus ihrem Mund hängt ein Spuckefaden und sie zittert.
„Ich mach’ das weg.“ Während ich das Bettlaken abziehe und die Flüssigkeit mit Klopapier aufwische, sage ich die ganze Zeit:
„Alles gut.“
Als sie eingeschlafen ist, öffne ich kurz das Fenster. Ich will nicht, dass der Pfleger etwas mitkriegt, dass er sagt: „Aber Sie hätten uns doch rufen müssen.“
Mehr erzähle ich Ihnen nicht, sage ich zu der Frau mit der runden Brille. Das geht Sie nichts an. Reicht jetzt.
Dann hole ich den Schmuckbeutel aus der Tasche und ziehe die Tür hinter mir zu.


Ohne Auto ist der Weg zum Sportplatz weit, und die Feldwege sind voller Pfützen. Man würde das Vereinsheim nicht finden, wenn man es nicht kennt. Ein weißer, flacher Bau, davor ein gepflasterter Weg. Wie oft Linn und ich von hier zu ihrer Wohnung gelaufen sind, wie die Sonne dabei aufgegangen ist, wie wir über uns Dorfkinder gelacht haben. Wie beste Freundinnen. Erst, wenn wir im Bett lagen, die Rollos unten, haben wir angefangen uns anzufassen und auszuziehen.

Vor dem Eingang steht ein leerer Bierkasten, die Spieler sind längst weg. Auf dem Boden die Reste von Erde, die von den Stollenschuhen abgeklopft wurden. Neben der Garage fange ich an mit meinen Händen zu buddeln, mein Handy mit der Taschenlampe an die Wellblechwand gelehnt. Kleine Steine bohren sich in die Haut unter meinen Fingernägeln. Wie schön es sein muss, Krallen zu haben.
Dann leere ich den Schmuckbeutel über dem Loch aus, die Ohrringe und Ketten fallen in die braune Erde. Daneben lege ich die Regenjacke und die Lidschattenpalette und beginne schnell wieder Erde daraufzuschaufeln. Bei Beerdigungen wirft man Rosen ins Grab. Am Ende trampele ich auf dem Fleck herum. Dass die Sachen hier liegen, weiß nur ich. Wie meine Mutter aussah mit grell geschminkten Lidern, mit klitschnasser Regenjacke, mit acht Ohrringen, das weiß nur ich.
Kurz überlege ich, Linn anzurufen, mich in ihrem Bett zu verkriechen und mit meinen dreckigen Nägeln über ihren Bauch zu fahren. Sie würde mitmachen und zwei Tage später sagen: „Warum lasse ich mich eigentlich von einer 17-Jährigen verarschen.“


Martin hat schlechte Laune, er lässt uns Steigerungsläufe machen, und die Bälle hat er gar nicht erst mit auf den Platz genommen.
„Ich muss aufs Klo“, sage ich zu ihm und laufe Richtung Vereinsheim. In der Kabine greife ich in Marinas Jacke und lasse den Schlüssel in meine Tasche gleiten. Dann gehe ich durch den Hinterausgang auf den Parkplatz und öffne ihr Auto per Knopfdruck. Ich weiß genau, was ich tun muss, drücke Start, lege den Gang ein, fahre auf die Landstraße. Bisher bin ich nur nachts auf Parkplätzen gefahren, mit Marina auf dem Beifahrersitz. Aber hier, auf der Straße, ist es viel leichter. Vor dem Krankenhaus halte ich an. Wer auch immer meine Mutter und mich zusammen sieht, sieht nur eine kranke Frau und ihre bemitleidenswerte Tochter.
„Überraschung“, sage ich zu ihr, sie ist sogar wach, als ich das Zimmer betrete. „Komm mit.“
Sie fragt nicht und lächelt nur. Der Aufzug bringt uns nach unten, ich stütze ihren kantigen Körper, und setze sie auf den Beifahrersitz.
„Das darfst du doch gar nicht“, sagt sie leise und lächelt immer noch. Dann fahre ich los, lehne wie sie auf dem Foto im Cabrio, den Arm aus dem Fenster, und ihre Locken flattern im Wind.