Dragica Rajčić Holzner
Besseres Leben Abschweifungen, Ausschweifungen
Seit ich sieben Jahre alt bin wollte ich Dichterin sein. Welt ausdenken, schreiben, lesen, mir zuhören von dem Blatt des Buches. Die Worte zusammengesetzt aus Buchstaben habe ich früh erkannt gäben mir die Möglichkeit mir andere Welten anzueignen, oder temporär mich dort aufhalten. Liebe diese Wort Temporär Vorübergehend, auch auf Arbeit bezogen. Hilary Mantel schreibt das es unterschied macht wer der Stift in seiner/ihre Hand hielt. Dichterin als Wissenschaftlerin mit unbeugsamen bitter-süssen Metaphern jonglierend.
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Träumte zwei Tauben, eine war Schwarz, andere Grau, wusste wenn sie sich verlieben wird ihnen Abschied schwer fallen und Herz brechen. Die Traumdeutung sagte mir „unmissverständlich“ was der Traum bedeutet.
Findet einer viele Tauben, wird er entsprechend deren Zahl fleissige und nützliche Sklaven gewinnen – sind es junge Tauben, wird er junge, minderjährige Sklaven erwerben, die von kräftiger Gestalt sind. War ich Sklavin in der Schweiz? Bejahe ich Sklavenschaft andere in dem ich über meine eigene schweigen möchte?
Traumdeutung ist diesbezüglich undeutlich. Um klar zu antworten, muss ich (wie immer) schreibend in der Dunkelheit tappen.
Was ich weiss ist
Ich finde putzen absolut schlimm, denke wie viel andere Sachen könnte ich in diese vertane Zeit tun? Wie bin Ich dann in dieses Text hineingerutscht? Am Anfang stand schuldloses Ja, auch aus Freundschaft zur MP, ja klar, als werde das Schreiben dieses mal schmerzlos, ich wollte vergessen das mein Ich ist ein Detektor der verborgene Wunden welche rufen, komm schau, komm zu uns, fühle. Ich schaue auf meine Hände, suchte Gewissheit durch Augenschein. Es hat angefangen in Brisbane in Angelfabrik, in einem Bassin mit Wasser, ganzen Tag lagen Hände in Wasser Bassin und säuberten die Routen von Kleber.
Meine geschwollene Finger, von Arthrose gebogen. Wie viel ist die Erbe und wie viel ist von putzen und was bringt es das jetzt zu beantworten. Alle ältere Erwachsene Menschen meine Kindheit hatten geschwollene und schmutzige Finger und ihre Nagel waren voll Erde, Kinder hatten nur Schmutz unter den Negeln, unsre Lehrerin mahnte uns nie mit solchen Nageln in die Schule zu kommen.
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Wenn meine Hand mit eine entscheidende Gewissheit des Redens ausgestattet wäre, welche die Tatsachen erzählen kann, die Haut und Knochen sich weigern mir/anderen was vorzumachen und reden würden, was für Lebenswahrheit aus Realität stünde mir jetzt zur Verfügung. Danilo Kiš, der Autor aus meine jugoslawische, sozialistische Jugend ging noch weiter, er wollte solche Wahrheiten in der Erden inneren gespeichert haben – es ergäbe einzigartige Sammlung der Menschheitsgeschichte ohne die Verfälschung des Zungen erzählten, welche immer mit Zwang einher geht der Erinnerns Löcher zu stopfen und Sinnstiftung durch Vermutungen. Meine Hände schmerzen, sie waren einmal meine tief gesunkene Aktien. Wie elegant hat George Saiko diese Dillema gelöst, ein ausgestopfte Diener bleibt wie er ist.
„Ja, man musste den Dingen das Leben nehmen, damit sie einem völlig zu eigen würden. Und unwillkürlich sah er Joschko anstelle des ausgestopften Wisents in dem Glasgehäuse paradieren. Joschko in der Fülle seiner Kraft und niedermähenden Männlichkeit, in der auf eine unbestimmte und dennoch sehr überzeugende Art auch diese hündische Anhänglichkeit an ihn, seinen Herrn, zum Ausdruck kam; Er vermied jedes übertreibende Wort und war voll wunderbarer Sicherheit, und alles war wahr und wirklich, und Joschko saß da und bestätigte es, denn er war tot.“ (Saiko: Auf dem Floss, 1980: 97)
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Meine Grossmutter hatte drei Kochtopfe, Wäschetage draussen am Brunnen, am Feuer Wasser ausgekocht schwere Schafwolle-Kleidung in Wasser eintauchen, Wolle stank, kaltes Wasser dazu gießen. Ganzes Haus roch nach Schafen und Feuerrauch, diesen Geruch habe ich bis heute in der Nase. Hausfrau in heutigen Sinne war sie nicht, Viehhalterin, Köchin, Brot backen war ihre Aufgabe, auf dem Feuer kochen, Mutter ist in solchen Haushalt aufgewachsen, bis heute arbeitet sie nur gern in Garten, draussen an der Sonne. Es wächst etwas, sie ist stolz gute Hand zu haben. Gehorsamkeit der Pflanzen erquickt sie. Als sie anfing Kuhmilch auszutragen für die vermögendere Frauen in Meeresdorf sah sie andere Kuchen, sah sie andere Wäsche, andere Welt. Welt der vermögenderen. Einmal so werden, Glas am Fenster haben, aber kleines Haus damit es schnell geputzt ist. Weisse Bettwäsche gestickt.
Wo hat sie die Idee der Mädchen Erziehung aufgeschnappt, sticken. Tante Boja sagte Bücher lesen ist unnötige Zeitvertrieb. Mutter brauchte Brille aber hatte sich geschämt eine zu tragen, Linkshändig auch für sticken war sie ungeeignet. Später musste ich Boden waschen in der Küche und ihre Bemerkungen das die Nachbarinnen putzen als ob sie im Haus am Boden pissen. Wiederspruch. Bei uns sollte alles ordentlich wegen der Augen der anderen sein, putzen in Unzeiten. Ich, ihre Tochter soll putzen, sie verschonen damit. Alle Frauen jammerten über
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Prljavština. Schmutzigkeit. Staub – Prašina hatte schon und ähnliche Nomina grupna imenica. Die gelesene Bücher haben mir aber andere Frauenbilder gezeigt, Filmreif, rauchend, Frauen in Mini Rocken, verliebte Frauen mit Kopfhaarturmen. Ich könnte alles werden sagte uns Lehrerin damals. Schön sein ist auch Befreiung von Frauliche Arbeit dachte ich. Mich überkommen die Gefühle aus der Dichtung, Liebe – Grosse Liebe, erste wahre Liebe welche den ganzen Leben Wasser halten wird.
Glück. Eine Liebe ist entweder gross oder inexistent. Wenn Kind kommt wäscht man die Windeln, kocht, mit siebzehn musste ich über Nacht Frau, Mutter sein. Aber ich will nicht Normal werden, arbeiten, Kinder kriegen, Haus bauen, sterben, ich wollte auf eine eigene Art glücklich sein. Diese 100 Prozentigkeit des Wünschens ohne sicheren Boden, bodenloses wünschen in mir ist geblieben versteckt unten den eingefrorener See der Wirklichkeit. Emigrieren ins Ausland bedeutete eine ungeliebte Seite der Lebens-Romans besser selber schreiben, eine neu Geburt, Anfang, eine glänzende Zukunft wo die Sterne (mir) auf der Hand schmelzen. Erwachsen zu sein wäre eine Art leben auszusuchen und nicht allgemeine gesellschaftlichen Mustern zu folgen aus einem UNORT Eigenort zu machen.
Schweizer Frauen (nicht alle) haben Politisches Stimmrecht erkämpft 1971, als eine der letzten in Europa. Einige fügen dieser Tatsache den Zusatz hinzu, als einzige Land welche dies mit Männer Zustimmung bekam.
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St. Gallen, 1980 kam ich als Gattin, Nicht-Gästin sondern Gastarbeiterin. Musste 15 Monate warten vor dem Familiennachzug Erlaubnis.
Ich bin knapp zwanzig Jahre, habe ein Kind welche in interne Kantonsspital-Krippe ging und zweitens welche mich aus dem Bauch mit Fusstossen erinnerte das ich bald zwei Kinder haben wurde. Lerne deutsch. Ich putze. Ich mache Linoleumboden glänzend. Schwamm darüber. Die Grenze der Sterbezimmer wird zugemacht. Die der Krankenzimmer ist offen. Die Grenze des Privaten überschreitend über die Türe in Privatkrankenhaus Zimmer mit blauen Putzwagen welche mich zu schützen schien. Trage Blaue Schurze mit den Namen Dragica. Krankenschwester sind in weiss angezogen.
Ehefrau eines jugoslawischen Fussbalspielers der dritte Liga in Gossau.
Das Wasser
Der Staub
Die Operationsaal
Die geschwollenen Finger
Die grosse Maschine
Die Blicke
Das Deutsch verkorkst im Mund
Hospital als Arbeitsplatz, Kolleginnen
Dann ein Haus bauen wie alle Gastarbeiter
Auto auf Kredit kaufen
Alle Frauen waren älter als ich in Kantonspital
Lesen in Pausen
Zu Hause Wohnung putzen
Frauen putzen leiser
Die Frage wieso sind Physischen arbeiten am wenigsten bezahlt, konnte ich niemanden stehlen, über Lohn zu sprechen gehörte sich nicht?
Männer putzen die Strassen.
Ehemann wäscht in eine Garage Autos, Besitzer ist Fussballklub Präsident. Eine Stelle aus Gefallen.
Ich schreibe Gedichte im Kopf aber wer und wo wird es lesen können?
Ich habe keine Bücher auf kroatisch zum lesen. Eine berühmte Opernsängerin lag in Krankenzimmer, ich erkannte trotz anderen Namen auf der Zimmertür ihr Gesicht und sagte ich habe sie auf dem Cover der Glückpost gesehen. Ich war so stolz auf mich das ich nach einem Jahr in der Schweiz schon Frauenzeitschriften aus den Krankenzimmern auf deutsch las. Sie war weniger erfreut das sie eine Putzfrau erkannte und eventuell Geheimnisse des schönes junges Gesichtes enthüllen könnte, sie sagte mir das sie nur ein wenig Haut hinter den Ohren gezogen hat. Diese Frau in Krankenbett hatte andere Probleme als ich –
Überall ist jeden Tag alles wieder schmutzig, mein schreiben ist möglich nur als Unterbruch des Putzens. Für Geld. Geld welche einmal diese Zeit unsichtbar machen soll, in Kaštel Stari Vorzeige-Haus bauen, noch immer nannte ich „unten“ Zuhause. Neid auf leichtere Schicksale. Mich beim putzen hören mit den Patienten Dialekt zu reden, exkuse, darf Iiii. Merci, Exkuse. In Kantonspital erstes mal gehört das zwei Frauen zusammen sein können wie Mann und Frau. Es war eine trinkende Frau Mehrer, ihre Gesichtshaut war braun wie Leder, sie ging ins Braunungstudio, sie fuhr roten Jaguar. Sie machte unseren Arbeitsplan, roch nach starken Parfüm um Whisky Geruch aus dem Mund zu übertünchen. Andere hiess Margret und trug Brille. Nach dem zweiten und dann dritten Kind ging ich privates Haushalte putzen, zwischendurch.
Raume glänzend, poliert, staubfrei, streifenfrei, angenehm zu machen für andere, wenig Zeit eigene Umgebung zu verschönern weil ich keine Kraft mehr dazu habe. Unsere Umzuge und Wohnungsübergaben in St. Gallen sind Horror, man muss fast renovierte Wohnung hinterlassen, die Zwischenraume von Alt-Doppelfenster-Glas abschrauben, Farbe blättert ab, Hausbesitzerin ist wütend auf mich. Rufen sie
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Putzfirma sagte sie. Ich bin meine Putzfirma. Ohnmacht das das was verlangt wird nicht gut genug machen zu können.
Wenn ich an „Meine“ Private Haushalte denke, sehe ich weisshaarige herzige Ifie, erinnere mich an die ihre überall liegend Wolle, sie war anthroposophische Märchenerzählerin welche nie gekochte Kost ass. Als Geschenk für Weinachten wollte sie mir aus Hundehaaren eine Jacke schenken, von Milva wie die Hündin geheissen hat. Ich musste schweren Herzens ablehnen. Ihre betrunkene Ex-Schwiegertochter SP Frau Ramona, ich denke an Tabletten unter der SP-Frau-Bett, ich höre Tabletten wie sie durch Staubsauger Schlauch gurgeln. Dann weiter zur eine blonde Anwältin und ihren verlorenen Füllfeder, Sie sagte mir ohne Umschweife ich soll es zurück bringen und dann nächstes mal das sie es in Bad gefunden hat. Ich ging weg, weinte auf der Strasse. Soll ich giftige Putzmittel Schmuggel in ökologisch-biologische Haushalte damit putzen schneller geht und sauberer aussieht verschweigen? Umwelt zerstört in Name der Schönheit eines Spiegels.
Nachdem ich 1986 erste Gedichtband veröffentlichte Halbgedichte einer Gastfrau werde ich als putzende Dichterin besser vermittelbar. Von eine zu andere, ich würde sofort bezahlt pro Stunde und Niemand von meinen Arbeitgeberinnen wollte mich ausspielen, schwarz arbeiten war kein Thema, es war so. Sie wollten auch Informationen über meine Familie, ich blieb immer stehen, nie sitzen damit ich weniger Zeit für reden verbrauchte, die Zeit war von Putzen abgezweigt.
Abschweifung 1
Zwischen Bialystok und Berlin-Westend. Eine ethnografische Studie zu den Begegnungen von Polinnen und Deutschen in informellen Hausarbeitsverhältnissen. Transcript Verlag 2018.
Ute Frings-Merck, Soziologin in ihre Dissertation untersuchte Verhältnis von Polinnen und Deutschen Frauen und sie listet auch u.a. die Vorteile des Putzens auf schwarz auf.
Die Camouflage
„... Arbeit wird nicht einfach angewiesen und wie verabredet entlohnt, sondern emotional aufgeladen durch Praktiken wie gemeinsames Putzen oder auf der symbolischen Ebene durch die Anrufung der Haushaltsarbeiterin als quasi Verwandte, gute Freundin, Nachbarin. Auf der rhetorischen und emotionalen Ebene handelt es sich hier um den Versuch, das Arbeitsverhältnis als ein ökonomisches der Wahrnehmung zu entziehen. Eine andere Strategie mit dem gleichen Ziel verbirgt sich hinter der Verschleierung des Arbeitsverhältnisses mithilfe von Zuschreibungen wie 'gute Geister', „unsere Perle“ oder auch „(Putz-)Fee“ ins Märchenhafte. Die Anrufung der Haushaltsarbeiterin als Vertraute gleicht einem Zauberspruch der notwendig ist, um das Misstrauen gegenüber der Fremden symbolisch zu entkräften“
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und somit die Voraussetzung zu schaffen, ihr nicht nur die Wohnungsschlüssel und die Kinder anzuvertrauen, sondern auch den Blick auf den Schmutz und damit Blick in die Intimsphäre zu gewähren. Die Camouflage der sachlich begründeten Beziehungen lässt sich generell als ein Strukturelement von informellen Arbeitsverhältnissen im Haushalt beschreiben.
Ich schämte und würde beschämt durch putzen, auf eine Art tief in inneren verletzt? Fühlte mich versetzt in die Hunger-und-Dienen-Zeit meiner Eltern. Schulzeit in Sozialismus und folgen für die utopische Idee der Gleichheit alle Menschen hafteten in mir und ernährten die Unruhe. Die Arbeit und Profit sind auch heute immer noch entscheidende Unterschiede zwischen Menschen, welche Geschlecht und Hautfarbe sie auch immer haben. Sie versichern den anderen ihr Platz oben. Verstand erstes mal was das für sie bedeutet hat für Kinderzukunft ihr Leben opfern. Fühlte mich schuldig ihren Opfer nicht gerecht geworden zu sein. Ich dachte das meine angefangene Bildung Aufstieg ins andere, höhere Welt der Menschen welche ihr Körper nicht als Arbeitsinstrument täglich benutzen für immer misslungen sei.
Lag damals in Gegenzug zu meinem Leben heute eine Art Ehrlichkeit in Körper-Benützung, totale Erschöpfung und leer werden durch Kraft-Verlust. Österreichische Autorin Ingeborg Bachmann sah etwas erotisches in arbeitenden Männer-Körper wie den von Automechaniker welche und ihr schweigsames begehren, auch über die schwarze Körper der Männer in ihren Buch Fall Franza. Ihre Bedienerinnen und Sekretärinnen bevölkern ihre Werke.
Sind Frauenkörper davon ausgenommen? denke an mein junges Mädchen-Körper welche blutet, Unterhose ganz rot. Die Schläge meine Mutter wegen Schmutz, meine Mutter fragte warum ich Unterhosen nicht versteckt habe? Erste Schmerz beim eintritt ins Frau-sein auch Neugier es geworden zu sein ohne zu wollen.
Ich als putzende junge Frau und Mutter (proletarisch werde man das nennen) in Schweizer kapitalistischen Realismus.
Ich versuchte mein Status in mir durch Kunstkapital-Gedichte schreiben (werde Pierre Bourdieu sagen) zu aufwerten. Damit meine trostlose Hoffnungslosigkeit wegzuwischen, wie Damokles Schwert über mich hing die Befürchtung mit der Frage was wenn es keinen Mehrwert gibt, wenn es Tag ein Tag aus mich bis geht nicht mehr malträtierte?
Nein, ich beschloss zurück zu gehen zurm Ort aus welchen ich aufbrach.
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1988 kehrte ich mit Kindern zurück nach Jugoslawien. Ich gründete eine Zeitung, Berliner Mauer war gefallen und damit einher ging Euphorie des Neuanfangs und der Freiheit. 1991 nach drei Jahren brach im Land der Krieg aus. Das Land würde zum Alptraum, zerbrach, ich fluchtete zurück in die Schweiz. Krieg fragt nicht nach Wahl der Arbeit oder Fluchtortes. Fünf Jahre lang dauerte Krieg, ich verfolgte ihm an Bildschirmen und zitterte jeden Abend, ob meine Familie noch am Leben sei. Er forderte allein in Bosnien 100.000 Tote, zwei Millionen vertriebene.
Ja, das Vorher und Nachher des Kriegs – wir haben an die Medaille geglaubt und an ihre Kehrseite – , was haben wir nicht alles geglaubt! Wie lange wird man uns noch erlauben, unsere Romantik zu treiben? Machen wir uns nichts vor – wir sind die Generation, die weg muss: so Halit Üründü „Die apokalyptische Darstellung der Gesellschaft in George Saikos Roman Auf dem Floß”
Zurückgekehrt fand ich neue Putzarbeit. Raume putzen in der Psychiatrische Ambulanz für Kinder und Jugendlichen OKJPD. Nebenan hat Nikolaus Meinberg Schriftsteller und Journalist als Kind gewohnt. Denke an die Sonnenzeit in Frühling und meine Zukunftsträume mit dem Blick ins Garten mit Quitte. Habe kaum Kontakt mit andren Menschen, Kolleginnen, allein am Wochenende. Bin Fluchtlingsfrau, keine Gastarbeiterin mehr aber jetzt mit Vorteil schon deutsch zu reden können. Drei Kinder in der Schule. Verlieren Klasse. Logopädie für beide. Stottern durch Mehrsprachigkeit in zwei Zimmer Wohnung ein Jahr zu fünft.
Eine Rezension von Ijoma Mangold, 13. März 2019, Die Zeit:
„Während die Eltern sich in der Fremde weit unter ihrer beruflichen Qualifikation abschuften, möchte Saša alles sein, nur kein Opfer. Deshalb gibt er sich lieber als Slowene aus denn als Bosnier, da denken die Leute an Skifahrer, nicht an Kriegsopfer.“ Herkunft. Die Deutschen überholen. Saša Stanišić erzählt in seinem autobiografischen Buch Herkunft, wie er aus Bosnien nach Heidelberg kam und lernte, Eichendorff, Hölderlin und die Alpen zu lieben.
Fortfahren. In einem grossen Haus war ich Hauswart, das klang so schön, dabei putzte ich die Treppe wie anderswo auch. In einer Genossenschaft war ich in Kompostgruppe. Ich fehlte an Sitzungen weil ich nie Zuhause war. Neue Arbeit im Café Altstadt als Buffetmädchen, dann in einem Ravioli-Laden. Heilpädagogische Schule, Klassenhilfe. Fluchtlingsheim Rüthihof Hilfsbetreuerin. Küche von Café Gschwend. Serviererin. Arbeitsbegleitender Studium der Soziale Arbeit an der HSA Luzern, vier Jahre nebst Arbeitens als Redaktoren und Jugendarbeiterin.
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Während ich das schreibe ein Foto landet in mein Handy, es ist Foto von zerstörten Haus auf dem Grundstuck meines Vaters welche ich diesen Tage in Zerstörungsauftrag gegeben habe. Bau dem Boden gleich gemacht. In diesen Wänden lagen die Wochentage, Sonntage, Geld meiner Hände, welche durch Jugendpsychiatrischen Dienst hinauf Staubsauger tragen, manchmal sind meine Kinder mit mir und helfen den Abfallkorbe zu lehren oder spielen in riesigen Psychomotorikraum. In diesen Abfallkörben sind manchmal Familien-Geschichten verborgen, dort ist zu lesen wie Inzest, Trauma, Magersucht, Gewallt sich auf die Seele der Kinder und Jugendlichen auswirken, wenn ich fertig bin mit putzen verziehe ich mich in Mansarde-Zimmer und lese diese Geschichten welche mich (absurd aber wahr) unheimlich trösten und ich schreibe Gedichte über Wirklichkeit, meine und ihre. In diesen Gedichten sind Familien weit weg von helle Wiese des Lebens welche ich verpasst habe.
Abschweifung 2
Meine Identifikationsfiguren waren Frauen aus Büchern, Männer schreiben ausgedachte Frauen sehr gut. Ich lese, Broch, Goethe, Fontane, ach, die Frauen welche schreiben aber als reale Figuren tragisch enden versuche ich umzugehen, Ausgedachte Frauen haben unbeugsamen Charakter, es sind Hexen, Verführerische Nymphen oder Zigeunerin welche Diener vergiften. Es gibt auch Dienerin welche als Treue Seele die Hauptfigur (Elfie Briest) „begleitet“, die Marie, zwei Frauen stärken sich gegenseitig wenn sie sich im Lebensleid gleichen. In einem Hotelgutenacht-Büchlein von Toni Morrison zeigt sie mir wie die liberale Schriftsteller in USA auch die emanzipatorische unter ihnen doch die Stereotypen der Schwarzen reproduzieren – wie in Hemingways Novelle wo James sah das der namenlose Schwarze sah. Also eine Person mit Namen sieht in welche Richtung Schwarze (ohne Namen) schaut. Weisse Mensch als Supervisor des Blickes des Namenlosen.
Pause machen, hinausgehen auf dem Wochen-Gemüsemarkt.
Weiter aufzählen geht nicht, ich werde diesen Text so wie er ist löschen und neu anfangen wenn ich nur die Camara-Einstellung in mir neu Fokussiere. Eine Art Wut steigt wie Wasser Pegel gegen Abend, bin mit Angel festgehakt am Boden.
Durch Langstrasse begegnen mir angetrunkene Männer wackligen Schrittes und hinter den Fenstern versteckt sind Sexarbeiterinen aus Zweiten und Dritten Welt. Sie schlafen wahrscheinlich und verpassen frischen Gemüsseinkauf. Emma Becker Literaturstudierte hat zwei Jahre in einem Bordell gearbeitet um ihr Roman glaubwürdiger zu schreiben – sie sagt in einem Interview „Die Prostituierten wissen, wer die Macht hat in so einer Beziehung, wenn man für Sex zahlt – und zwar die Frauen. Die Männer sind manchmal viel respektvoller im Bordell als auf der Straße, als im normalen Leben.“ Gesellschaftsmodel Bordell, es reimt sich sogar. Verwertung des eigenen Lebens als Material, Selbst-Ausbeutung in Dienste der Erkenntnis.
Die Bauernstände sind aufgestellt, Kleingewerbearbeit vor Augen. Es sind immer selber Bauern welche am Helvetiaplatz ihre Früchte und Gemüse verkaufen, früher
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gab es auch polnische Praktikantinnen , das war in meiner St. Galler Zeit. Arbeiten mit eigenen Händen auf eigene Kosten, diese Uhrpunkt des Liberalismus ist nicht vergleichbar mit Arbeit der Putzpersonals??? Wer arbeitet und wie auf ihren Feldern wird für mich an Helvetiaplatz nicht ersichtlich. Was wir wissen sollen hämmern uns die Wünsch-Prospekte der Werbung – Gemüse ist aus biologischen Anbau, dort steckt Nachhaltigkeit, Gesundheit, Beziehung, die neue Utopien des Produkts welche mit Liebe aufgezogen wird. Verkäuferinnen sind mit Hofbesitzern meistens identisch. Sie arbeiten selbstverständlich auf eigene Kosten der Karl-Marx-These folgend, das man nicht von der Arbeitsgegenstand entfremdet wird in dem man von dem Samen bis Teller des Verbrauchers das Produkt steuert, beobachtet, schlachtet, säubert, für Geld verliert. Meine Mutter muss es gewusst haben.
Zuhause angekommen packe verletzte aber billigere Obst zweite Klasse aus. Neigungswinkel des Dichterin värendert mich.
Nehme frischen Schreibanlauf, verspreche, ich werde versuchen Text über mein putzen mit dem Wasser eingelesenen postkolonialen und postmodernen Theorien zu waschen? Denke an Existenziallphilosophen Maurice Merleau-Ponty und seine These der Beobachtung eines Gegenstands in Raum, die Poliperspektiven machen die ganze Wahrheit aus. Wo ist man selber wenn man sich dreht und wer von „anderen“ bestätigt die Objektrealität und wozu?
Die Wortmacht der Nichtbeteiligten würgt meine anderes erfahrene Bild der Vergangenheit.
Du musst zur deine Sprache gehen hätte mir Paul Celan bestimmt gesagt. Celan hat eine „grauere“ Sprache in seinen späten Gedichten benutzt welche sich als Sprache der Wahrhaftigkeit des Einzelnen – und in Spannung zwischen Kultur und Barberei findet er sein einzigartiger Ton wie Helmut Böttiger meint: https://www.sueddeutsche.de/kultur/paul-celan-todesfuge-holocaust-czernowitzbiografie-1.5123449 –
eine „grauere“ Sprache, eine Sprache, die unter anderem auch ihre „Musikalität“ an einem Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem „Wohlklang“ gemein hat. Diese „grauere Sprache“, die Schönheit und Musikalität anders färbt, ist für Celan die Sprache der Wahrhaftigkeit, die Sprache des Einzelnen. Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie misstraut dem „Schönen“, sie versucht, wahr zu sein.
Wollte ich nicht literarisch mächtig werden und mein Status durch das Symbolische Kapital der Kunst erweitern, ohne Treue zur Realität der „Übersehenen“ zu verlieren? Plötzlich weiss ich das ist das neuralgische Punkt, wo meine ganze Dilemma und Ratlosigkeit sich aufhält. Es geht um Existenz als Dichterin und Verhältnis zur Putzfrau – Austragungsort ist mein Herz und Hirn. Treue und Verrat.
Mich zur Sprache zu stellen – nur so in eine Beziehung zur „vergangene Zeit“ stellen zu können. Sprache ist in diesem Sinne mein fester Bezugspunkt in und zu meiner Lebenswirklichkeit.
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In der Begegnung Dichterin-Sprache im Raum des Gedichts finden wir daher gerade den „Neigungswinkel”.
Ein Wort verfolgt mich.
Ressilenz ist Substantiv, feminin [die] psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Meine Aufmerksamkeit haftet daran ohne anhaltende Beeinträchtigung – diese zwei Worte, in ihnen suche ich verloren geglaubte Beeinträchtigung – welche sprachlos weh getan hat, stumm der Schmerz, die Mühe, die Erschöpfung unsichtbar lange Zeit. Ressilenz trägt auch Beigeschmack, das was auch immer war ist überwindbar, es schmälert die Versäumnisse der Politik der vorherigen Generation und überlässt dem Einzelnen, ES gut zu tragen. Wer misst denn, welche nicht Reszillent sind und zerbrechen?
Und wem könnte man mit dieser Anklage treffen, wer fühlt sich verantwortlich, in welche Richtung sende man Klage. Ins Museum dort wird Leid greifbar, eingefroren, dokumentiert. Den Proletariern in Sozialistischen Friedhof des Ostblocks bleibt Ausbeutung pur ohne Arbeitsrecht-Schutz. Es gibt, esoterische, religiöse Rahmen für die Erlösungsphantasien. In Mystik von Simone Weil: Die Armen werden die ersten sein.
Kathrin Röggla welche Wortmeldungen-Preis der Crespo Foundation 2020 gewohnen hat, zeigt was uns bleibt. „Röggla denkt nach, wie man die sozialen Konflikte und politischen Streitthemen unserer heutigen Zeit – beispielsweise Terrorismus, Demokratiekrise, Digitalisierung oder Stadt-Land-Gefälle – als historischen Wendepunkt verstehen kann. in politischen Auseinandersetzungen des sogenannten juste milieu mit all denen auftreten, die seinen progressiven Kurs nicht mitgehen wollen. Vielleicht kein Wunder, wenn Begegnungen mit allen, die nicht dazugehören, derart vorformatiert sind: Das Fremdschämen ist die äußerste Annäherung an den anderen.“
Meine Indische Kollegin Meena Kandasamy welche in Grossbritanien lebt vertritt eine optimistischere einzigartige Position, welche Hoffnung sät. Sie sagte in einem
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Interview mit The Guardian: „Um ein Risiko einzugehen, müssen Sie immer noch absolut am Rande sein“. Perspektiven entstehen durch zulassen der mehrere Interpretationen der Geschichte.
“Different historical perspectives therefore derive different facts from the same events (1988: 57). However, the fact that different individuals can come up with different, and at times even contradictory, interpretations does not deprive these narratives of meaning and value. On the contrary, the proliferation of narratives of many different kinds undoubtedly contributes to revealing that truth is never monolithic and one-sided, since it is possible to interpret and narrate the same event in different ways. Consequently, the more stories we are told, the more perspectives we are offered, the better, for it is only through all of this diversity that multifaceted reality can be properly approached.” https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0021989417719118
“In The Gypsy Goddess, she writes 'disciplined novels are dead, well behaved ones are damned', which sounds like a modernist credo. 'I don’t believe in labels,' she says firmly. But 'I don’t want [my work] to be a hand-me-down.' Her mixed-caste upbringing and her experiences as a Tamil woman in both India and the UK inform this. 'Who does the novel belong to? I am writing about a different reality, so I need to shape it to fit my reality. You don’t want to do the same. You don’t want to do the done thing. To take a risk, you still need to be absolutely on the margins. I am doing what I want to do.'” https://www.theguardian.com/books/2019/nov/25/meena-kandasamy-interview-exquisite-cadavers
In Jüdischen Museum in Basel habe ich unter einem Foto Geschichte der Spitzhutes gelesen. Am Anfang war der spitze Hut etwas von aussen zugefügtes und als Erkennungszeichen der Juden gedacht, Diskriminierung in Hut-Form, dieses für alle Sichtbares Mackels würde in Laufe der Jahre zum Erkennungszeichen ihrer Besonderheit. Das ist über die Generationen entschtanden, schleichend, auch durch Vergessenheit. Es ist Paradox aber vielleicht psychologisch gar nicht unklug sich mit der Stigma anzufreunden, es zeigen bis es anders sich anfühlt, leuchtet und ihre Stigma verliert. Ist Vergessenheit auch eine Voraussetzung des Wandelns? Eine andere Idee wäre das die andere diesen Hut versuchsweise tragen wie im Theater mit ihre zwei Bedeutungen üben wie Übergang in ihnen sich zeigt. Sehe wieder auf meine Hände. Meine verbogene Finger welche diese Buchstaben tippen aber jetzt sich nicht zeigen als Verinnerlichung des Sklaventums, Sie tippen Buchstaben aus welchen sie möchten In Augenhöhe sich begegnen, impliziert das man in anderen Augen erkannt wird als das was man meint zu sein, aber auch Kunst der Scheinwerferlicht des anderen ertragen auch wenn es zu dunkel oder zu grell ist. Sich hineinlesen in den anderen, aber dort muss eine Kraft sein, eine in beiden gewachsene Kraft der gegenseitigen Verwandlung des Blicks.
Quellen:
George Saiko: Auf dem Floss. Frankfurt am Main 1981
Helmut Böttiger: Paul Celan. Wie die Gräber klingen. In: https://www.sueddeutsche.de/kultur/paul-celan-todesfuge-holocaust-czernowitzbiografie-1.5123449
Interview Meena Kandasamy: ‘If I was going to write my life story, I would condense that marriage to a footnote’. In: https://www.theguardian.com/books/2019/nov/25/meena-kandasamy-interview-exquisite-cadavers
Ute Frings-Merck: Zwischen Bialystok und Berlin-Westend. Eine ethnografische Studie zu den Begegnungen von Polinnen und Deutschen in informellen Hausarbeitsverhältnissen. Bielefeld 2018
Ijoma Mangold: „Herkunft“. Die Deutschen überholen. In: DIE ZEIT, 13.03.2019
Postmodernism and politics in Meena Kandasamy’s The Gypsy Goddess. In: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0021989417719118
Halit Üründü: Die apokalyptische Darstellung der Gesellschaft in George Saikos Roman Auf dem Floß. In: https://core.ac.uk/download/pdf/14529025.pdf