Daria Kramskaja
Rote Raben
Als meine Mutter sich, ein Jahr vor dem Zerfall der Sowjetunion, auf den Sims der Geburtsklinik in Sewastopol hievte, muss sie ausgesehen haben wie eine schwangere Gazelle. Sie blickte aus dem Fenster im dritten Stock, sah den weißen Zaun, der den Park vom Meeresufer trennte, der Wind spielte um ihre Beine und bestimmt starrte der Arzt durch den Schlitz ihres Kittels auf ihren Hintern.
„Junge Frau, kommen sie runter und niemandem passiert was.“
„Runter komme ich. Entweder runter zur Leninskaja, mit dem Tramvaj heim oder“ – dabei zeigte meine Mutter mit dem Finger auf die Erde – „oder auf dem direkten Weg“, und sie hielt einen Fuß aus dem Fensterahmen in die Luft. „So oder so, Ihre Entscheidung, Herr Oberarzt.“
„Seien Sie vernünftig, junge Frau.“ „Nein, danke, das hat schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, sonst würde ich hier nicht schwanger rumturnen müssen.“ „Dann holen wir sie runter.“ „Ich werde nicht wieder mit Ihnen zurückgehen.“ „Seien Sie bitte vernünftig…“
„Ich weiß doch, was mit uns passieren wird.“
„Wir wissen es alle… Selbst wenn sie beide es durch ein Wunder schaffen würden, wird der Kleine nie sprechen oder laufen lernen… Das können wir doch nicht wollen, oder?“
„Mein Kind nicht wollen – ? Versuchen Sie, es wegzumachen, nur zu, da springe ich lieber zwei Mal – dann dürfen sie Herrn Pukarov persönlich erklären, warum mein Gehirn am Pflasterstein klebt.“ „Wahnsinniges Weib“, brummte der Arzt. Meine Mutter setzte alles auf eine Karte. „Sie verstehen schon. Natürlich meine ich den Herrn Pukarov, los rufen Sie an. Ich warte solange hier und genieße die Aussicht gerne ohne Sie.“
Sie drehte dem Arzt wieder den Rücken zu und legte eine Hand auf den Bauch. Das Kind ist erstaunlich ruhig, dachte sie und atmete so langsam es nur ging ein. Im Nebenzimmer wurde bereits die Nummer des Herrn Pukarov gewählt. Es hätte ihnen nichts gebracht, meinen Vater anzurufen, den ich als Herrn Pukarov kennenlernen sollte. Erstens war er zu dem Zeitpunkt als Betreuer der Wasserballmannschaft der Ukraine in Moskau und zweitens hätte er rein gar nichts ausrichten können. Ein Mann mit Trillerpfeife, ohne Macht. Man rief seinen Vater an, den Herrn Pukarov, Leiter der Milizija in Sewastopol.
Es dauerte ein wenig, dann wurde durchgestellt. Die Situation wurde ihm in knappen Worten geschildert. Herr Pukarov hatte es eilig. Man fragte ihn, ob diese Frau auf dem Fenster zufällig seine wäre. Vermutlich antwortete er so etwas wie: Im Prinzip nein, aber sieht sie denn gut aus? Und so durfte ich fünf Monate nach diesem sonnigen Nachmittag, als Wassilli Alexandrowitsch Pukarov nur eine Stunde nach dem Anruf mit einem Strauß Rosen für meine Mutter und Import-Cognac für den Chefarzt bedächtigen Schrittes den vierten Stock der Geburtsklinik betrat, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz, entgegen aller medizinischer Ratschläge, doch das Licht der Welt erblicken. Mein Kopf war, anders als von den Ärzten prophezeit, keine Tomate.
Wäre es so gewesen, wie sie meiner Mutter am Ultraschallbild erklärten – meine Augen blind und mein Schädel falsch – hätte die Schwester mich direkt nach der Geburt an sich genommen. Ich wäre in ihren Armen durch die Tür des Kreissaals in den Raum getragen worden, wo die Ärzte ihre Hände bis zum Ellenbogen waschen; ohne Handschuhe, um sie gleich wieder für die nächste Patientin überzuziehen. In einer Ecke des Raumes steht die Plastikwanne auf einem Podest, nabelhoch. Die Schwester, stelle ich mir vor, rückt mit dem Bauch an den Rand und dreht am blauen Hahn, dreht auch rot hinein. Das Wasser steigt bis zur unteren Markierung: 20 Liter, nach einer Minute die obere: 40 Liter. Hahn zu. Tropfen fallen, ufern aus, Ellipsen an den Wannenwänden. Ein weicher Stoff wird auf mein Gesicht gelegt, er schließt sich um meinen Kopf, schließt sich fester und drückt mich nach unten. Ich berühre das Wasser, ich tauche in das Wasser hinein, tauche unter, ich schreie, schreie unter Wasser, mein Atem sprudelt hoch, ich sehe weiß, sehe Licht von oben, meine Schreie tönen in der Wanne, sie laufen durch mich durch, schütteln, durchzucken und löschen mich aus.
Die Wanne in der Geburtsklinik in Sewastopol hatte, wie in jeder anderen Geburtsklinik des Landes, diese zwei Füllgrade: der untere für gesunde Kinder, der obere für Tomaten. So gab es auf den Straßen meiner Geburtsstadt kein behindertes Kind, geschweige denn einen Erwachsenen, keine Rollstühle, Rampen, Lifts, Sonder- oder Förderschulen, Werkstätten, Wohneinrichtungen oder Pflegeheime. Die Mutter, gerade aufgewacht, erhielt die traurige Nachricht einer Totgeburt. Danke, kommen sie wieder, probieren wir es beim nächsten Mal. Scheitern nach Plan – am Ende solange wieder aufstehen, bis man siegt. Das war Ideologie. Lenin starb nicht und liebte alle Kinder, das galt auch damals noch, selbst im Untergangsjahr, mancherorts, in manchen Wohnzimmern auch danach. Persistent wurden Stalins Wangen auf Portraits von pausbäckigen Kindern weichgeküsst, der Schnurrbart kitzelte an ihren Lippen. Ob er auch Tomaten geliebt hatte, ist nicht überliefert, also nahm man an: nein,
auch der Einfachheit halber und hängte dieses Portrait in viele Geburtskliniken, so auch in das Zimmer, wo meine Mutter mit beiden Füßen auf dem Sims stand. Die Brise im Haar, den Blick in den Wolken, hatte sie wenig Lust, von diesem Fenster zu steigen. Sie wartete und dachte nach. Der Schwiegervater. Der Schwiegervater war die höhere Karte im Spiel. Das Spiel fand unter dem Tisch statt. Was für eine Karte war sie? Was für eine das Kind? Selbst Wassilli Alexandrowitsch Pukarov hätte ein krankes Kind nicht ordentlich, vor allem nicht auf Dauer, verstecken können. Eine romantische Vorstellung und völlig an der Realität vorbei. Sie winkte den schwangeren Patientinnen im Park, die zu ihr hinaufsahen. „Versuchst du wieder die Fenster zu putzen?“ „Alles in Ordnung, Sweta, ich vermute, dass ich morgen schon wieder hier raus komme, die geben einem sowieso kein Gramm Seife. So lang bleib ich an der frischen Luft“, sagte meine Mutter. Sie war sich jetzt plötzlich sicher, dass sie die Herzdame war.
Die Liebe ist für meine Mutter das, was für meinen Großvater die Verantwortung war. Sie denken da ähnlich, sie würden alles dafür opfern. Der erste Mann im Leben meiner Mutter war zärtlich und aufmerksam gewesen, bis man ihn ins Gefängnis warf. Blattgold fehlte auf Kuppeln und Skulpturen, die unter seiner Leitung restauriert worden waren. Es war Anfang der sechziger Jahre, eine Zeit, in der man für weniger als Blattgold eingesperrt wurde. Meine Mutter war fünf Jahre alt. Plötzlich sah man an selbstgemachten Kleidern und den Schuhen ihrer großen Schwester, dass ihr Vater im Gefängnis saß. Sie setzte sich ans Fenster ihrer Wohnung und schaute zum Hof hinaus. Es ging ein milder Wind, der fedrige Pollen zu ihr hochwehte. Schwebend machten sie ihren Doppelgängern Platz und sie sah, wie sich die Luft vor ihrem Blick im Kreis drehte. Und ganz unten, auf dem Fußballplatz, spielte Dima Sabakin mit den anderen Jungs im Staub. Bis zu den Hälsen standen sie in der Wolke, glitten in ihren kurzen Hosen über den Boden und traten sich gegen die Schienbeine. Spitze, kleine Schreie. Sie verkeilten sich ineinander, sodass sie im Staub wie ein Körper mit vielen Armen und Beinen wirkten. Dimas rote Locken schwebten einem Fanal gleich mal unten, mal oben aus der Wolke heraus.
Meine Mutter muss sich folgende Szene ausgemalt haben und das mit einer gewissen Willensanstrengung, denn sie erzählte sie mir so oft, dass ich aufgehört habe zu zählen: Der Abend. Treppe um Treppe, seine Schritte kommen näher. Er klingelt, sie lässt ihn hinein. Dimas Sommersprossen im Licht ihres Lampenschirms. Die Fransen des Schirms als dünne Schatten auf seiner kleinen Nase und dann kommt er langsam zu der Fensterbank, auf der sie sitzt. Er hebt die Augenlider, wie ein Flügelschlag. Vielleicht ein Rotkehlchen? Vielleicht
eine Miniaturtaube, nein eher ein roter Rabe. Er streckt seine Hand nach ihr aus, und stützt sie bei dem Schritt nach unten. Da bist du ja, Sonia. Soniushka, die armen Jungs führen Krieg gegen die Mädels. Wie wär‘s mit Waffenstillstand? Noch nie hat jemand sie so angelächelt. Andererseits ist sie erst fünf, welcher Vergleich lässt sich da ziehen? Ihre Hände verkrampfen sich, sie drückt die Nase gegen die Scheibe. Dima, Dima kannst du mich von dort aus sehen? Ich warte auf dich, bitte komm, bitte schau mich an. Du bist so schön, deine Augen sind blauer, als das Schwarze Meer, wenn kein Wind geht, sonst ist es grau, wie der Himmel heute. Verdammter Himmel. Ich bin traurig, dachte Sonia, …die Jungs haben den Mädchen den Krieg erklärt.
Ich glaube, dass sie wütend war, sie besteht darauf, ich dürfe niemandem den Satz weitersagen von den Jungen und den Mädchen und dem Krieg, das sei intim, mehr als privat, tiefer, und wenn ich vor hätte, ihn zu benutzen, dürfte ich dabei auf keinen Fall von ihr sprechen. Sie besteht darauf, ihr Vater hätte das Gold nicht genommen und, dass das Gefängnis ihn nicht verändert habe, davon soll ich erzählen – aber ich erzähle nicht mehr für sie.
Damals weint meine Mutter, weint und legt sich auf die Scheibe, so als wäre es Wasser, in das sie hineintaucht. Da blitzt es rot auf und sie schlägt dagegen, mit beiden Händen, bis es kracht. Warum? Ob sie überhaupt dagegen schlug? Das Gewicht ihres Körpers hätte ausreichen können… Durchs Glas zieht sich ein Riss, Splitter fallen auf die Fensterbank. Ihre Finger fangen Glas und Blut ein, wie ein Spinnennetz. Ein Dreieck bohrt sich in den Oberschenkel. Tief. Vielleicht schaute Dima hoch, vermutlich bemerkte er nichts. Dima ging nicht zu ihr nach oben, nie. Sie sprachen kein Wort. Als ihre Mutter heimkam, sah sie viel Blut und ein ohnmächtiges Kind am Boden, mit einem Dreiecks-Splitter im rechten Bein. Tücher drum, was man hatte und schnell, aber ruhig, wenn es nicht schneller geht, dem Nachbarn in die Arme legen, der sie in die Tram und dann durch die Tür der Klinik trägt, wo sie, auch wenn es ihr selbst nicht bewusst war, auf den Tag genau fünfundzwanzig Jahre später auf dem Sims stehen wird. So endete die erste Liebe meiner Mutter im Krankenhaus.
Der dritte Stock, das Meer von oben, sobald meine Mutter die Augen zusammenkniff, ein Nachbild der Bucht, ein riesiges Segel, heller Stein, reflektierte Sonne und ahmte Marmor nach. Hotels, Boote und Sommertouristen, die vor dem Fenster im Untergang schwankten. Sie hatte den Arzt beschimpft, hatte alle weggeschickt, gedroht. Es blieb nur eine alte Krankenschwester auf dem Stuhl, die sie nicht aus den Augen ließ und mit einem Lächeln quittierte. Wie gemeißelt stand darin: Das alles habe ich schon gesehen. Es müsste fast eine
Stunde vergangen sein, seit dem Anruf. Der Ausblick auf die tiefe Sonne lockerte ihre Muskeln und Schultern, sie ließ sich auf den Sims nieder und sah an sich runter.
„Ich stinke, ich stinke ganz erbärmlich“, sagte sie plötzlich.
„Beruhigen Sie sich Frau Pukarov“, sagte die Schwester ohne Regung.
„Frau Pukarov, ich bin nicht die Frau Pukarov…“
„Ich dachte, weil Sie doch…“
„Ich dachte, ich würde vielleicht Frau Pukarov – ich dachte, es wäre ganz erstrebenswert eine Pukarov zu sein. Aber ich bin nicht Frau Pukarov.“
„Ach nein, wer sind sie dann?“
„Ich bin eine Gans. Ich rieche wie eine Gans.“
„Ich kann Ihnen ein Stück Seife bringen.“
„Nein, keine Seife – Wasser, warmes Wasser: Tee?“
„Tee, schwarzen vermutlich?“
„Sie haben zufällig auch ein bisschen Gebäck?“, fragte meine Mutter.
So kam es, dass, als das majestätische Klappern der Wildlederschuhe Herrn Pukarovs im Gang hallte – das unrhythmische Trippeln des Arztes verging darin beinahe völlig – die zwei Frauen mit einer dampfenden Tasse Bergamott-Tee und Bubliki zum Tunken, Schulter an Schulter auf der Fensterbank saßen und lachend miteinander plauderten, wie zwei alte Schulfreundinnen auf einem Klassentreffen, die der unbarmherzige Arm des Schicksals vor Jahren ohne Vorwarnung und Aussicht auf ein Wiedersehen getrennt hatte und die sich jetzt wieder hatten und nie, nie wieder voneinander lassen würden, das schworen sie sich, stelle ich mir vor.
Herr Pukarov klopfte mit dem Fingerknöchel an den Türrahmen und schob seine Glatze als erstes, seinen Blick als zweites in den Raum, gefolgt von Rosen. Er war über 1,90 groß, hatte strahlende, blaue Augen und ein schweres Kinn mit tiefem Grübchen in der Mitte, das meine Mutter an eine Bulldogge erinnerte. Die Rosen, weiße, hatten leichte braune Dellen.
„Hallo, die Damen, ich hoffe, ich störe nicht“, er lächelte, lächelte so falsch, wie man nur falsch lächeln kann. Die Krankenschwester sprang beinahe vom Fenster runter, schaute den Arzt nicht an und lief schweigend Richtung Tür. Allerdings drehte sie sich in der Tür um, und winkte meiner Mutter hinter dem Rücken der Männer, erst dann verließ sie das Zimmer.
„Hallo Wassili Alexandrowitsch, was für eine Überraschung“, sagte meine Mutter, sie lächelte ihrerseits, ohne die Zähne zu zeigen.
„Ich hatte eine Unterhaltung mit Herrn Dr. Komissarow, hier, liebe Sonia.“
Der Arzt nickte stumm und lächelte.
„Ich darf dich heute mitnehmen, so wie du bist. Und so wie du bist, wirst du auch bleiben. Dafür habe ich versprochen dich persönlich zum Entbindungstermin wiederzubringen. Wie findest du das?“
„Ich darf also gehen?“
„Wir dürfen gehen. Hier. Die Blumen sind für dich. Komm, ich helfe dir da runter und du holst deine Kleider“, er bot der Frau, die auf der Fensterbank lehnte seinen Arm an und sie ließ sich helfen. Ohne ein Wort, der Strauß hing jetzt lässig, die Köpfe Richtung Boden, in ihrer Hand, ging sie durch den Gang zu ihrem Zimmer, nahm ihre Tasche, zog sich den Kittel aus, ein rotes Kleid über, dann die Sandalen an und schlenderte zum Aushang, wo Herr Pukarov bereits auf sie wartete. Die Gänge waren wie leergefegt. Er lief los, sie ihm nach, den Koffer in der Hand, aus dem die nun beinahe braunen Rosen hingen, so gingen sie eine Weile, ohne dass meine Mutter hätte sagen können, wie lange oder wohin. Sie spazierten durch den städtischen Park, an einem nicht enden wollenden weißen Zaun entlang, auf dem die Raben im Sonnenuntergang beinahe dunkelrot aussahen. Sie ging an seinem Arm an der Küste entlang, über die Promenade, am Theater vorbei, die Treppe runter zum Meer und am Denkmal der versenkten Schiffe entlang. Es gab kein Denkmal der versenkten Kinder – wie hätte das auch aussehen sollen? Einige Menschen schwammen dort, tauchten unter dem Fundament durch, das stilisierte, graue Felsen zeigte und kletterten auf die weiße Steele, auf deren Kapitell ein Adler mit Siegeskranz im Schnabel thronte. Herr Pukarov hielt endlich an.
„Ich kenne dieses Restaurant, Primorski Bulvar. Die haben sehr gute Rapanii.“
„Danke, Wassilli Alexandrowitsch. Ich mag Krebsfleisch nicht besonders.“
Er lächelte, sagte nur „Na los“ und schritt voran. Sie folgte. Am kleinen Tisch saßen sie sich gegenüber, Herr Pukarov zündete eine Zigarette an, bestellte Weißwein und Rapanii für zwei. Er schaute die Schwangere direkt an und wartete. Sie war zwar schon dreißig, viel zu alt für seinen Sohn, aber er verstand schon: die Löwenmähne, grüne Mandelaugen, schimmernde Haut, Finger, die einer Pianistin gehören sollten, und ein Hang zur Kopflosigkeit mit großer Geste. Er bestimmte die Pausen und so herrschte er nicht nur über das Gespräch, sondern auch über das Fließen der Zeit. Seine zukünftige Schwiegertochter wartete, auch, weil sie keine Karten mehr im Spiel hatte, außer der kleinen Pause, die es brauchen würde, bis die Ereignisse weiter voranschritten.
„Die Rapanii sind sehr gut, du solltest sie probieren. Wein schmeckt dir ja schon mal, das freut mich. Wir könnten heute was zu feiern haben.“
„Das Leben deines Enkels zum Beispiel.“
„Siehst du Sonia, wie leicht du zum DU übergehst bei mir. Das trauen sich nicht alle.“
Er nahm einen tiefen Schluck und lächelte.
„Trinken wir auf die Freundschaft und dass ich dich endlich kennenlerne. Ich glaube, wir beide finden auf jeden Fall eine Lösung für unser gemeinsames Problem.“
„Lieber Wassilli Alexandrowitsch. Ich höre dir zu, weil du uns heute quasi gerettet hast, aber glaub nicht, dass ich dir deshalb mehr schulde, als das.“
„Ich liebe kluge Frauen, Sonia. Und nur deshalb mache ich dir ein Angebot, aus Respekt“, er nahm wie aus einer Zauberkiste mehrere Geldbündel hervor, legte sie völlig gelassen auf den Tisch und sagte: „Fünf Jahresgehälter in Rubel für dich.“
Sie steckte es ein. Wassili Alexandrowitsch tat sich schwer, die Fassung zu bewahren. „Du fragst nicht, wofür es ist?“
„Für mich, dachte ich.“
„Für dich. Du, immer du. Aber du hast Recht: Es ist für dich. Nicht für euch. Das mit euch soll vorbei sein.“
„Schon verstanden“, sagte sie. „Nur wird es nicht so billig, wie du gedacht hast.“
„Wie teuer wird es?“
„Zehn. Zehn Jahresgehälter und ein Visum für mich, und eins für das Kind, wenn du es nicht schnell genug besorgen kannst.“
„Wo soll’s denn hingehen?“
„Überrasch mich. Es gibt viele schöne Ecken auf der Welt.“
Dass er uns nach Deutschland schickte, war wohl eine kleine Rache seinerseits, dass ich dort geboren wurde und eine Geschichte erzählen kann, in einer Sprache die ihm alles andere als gefallen hätte, ist meine.