Anna Stadler

Von schiefen Türen

Als der Fernseher noch geht, sehen wir einen Beitrag über einen Lehrer, der beim Skitag

gestorben ist, als er von der Piste abgekommen und Kopf voran im Tiefschnee stecken

geblieben ist. Die Schüler haben darüber nachgedacht ihn herauszuziehen, aber hatten dann

Angst, selbst nicht mehr herauszukommen und haben zugesehen, wie er erstickt ist, bis die

Rettung da war.

Das ist die Art, wie die meisten im Schnee umkommen, meint der Bruder, während er eine

Schüssel Nachos auf den Knien balanciert.

Er will es ausprobieren, wie das ist, also gehen wir hinaus, wo der Schnee sich

zusammengeschoben vor dem Wohnhaus türmt, dass wir ihn rausziehen sollen, wenn er ein

Zeichen gibt, sagt er, bevor er den Kopf mit Schwung in den Schnee steckt und wir fragen

können, welches Zeichen er meint.

Aber er schafft es selbst, weil er sich nicht getraut hat, den Kopf richtig tief hineinzustecken,

dass es wirklich unheimlich ist, findet er, und wir beenden das Experiment damit und sehen

weiter fern.

Interviews mit erschöpften Feuerwehrmännern und dem überforderten Bürgermeister

werden gezeigt. Viele Einstellungen von Männern auf Dächern und ein Beitrag über eine

Flüchtlingsgruppe, die zur Hilfe gerufen wurde, und Zufriedenheit über das gemeinschaftliche

Anpacken. Dann eine Einstellung, in der fünf Kunstschaffende, die gerade ein Symposium in

einem der größten Schneelöcher abhalten, in weiten Mänteln zwischen den Schneemassen

flanieren. In der nächsten Einstellung sitzen sie in einem Wirtshaus und müssen ästhetische

Schneefotografien über den Tisch schieben, sie nachdenklich betrachten und sich in vagen

Phrasen darüber austauschen. Geplant ist eine Ausstellung. Das Thema Schnee, heißt es.

Abschließende Einstellung: der Bürgermeister, im Hintergrund die Feuerwehrmänner und die

Flüchtlinge mit Schneeschaufeln, darüber, dass es schon gut ist, die Flüchtlinge und Künstler

hier zu haben, dass man so nämlich Gemeinschaft spürbar macht in Situationen wie diesen

und dass es auch wichtig ist, mal einen anderen Blick auf den Schnee zu bekommen.

Der Schnee fällt beständig. Immer wieder gewährt er kurze Pausen und lässt es so aussehen,

als wäre es das jetzt, aber schon nach einem halben Tag setzt er wieder ein und es macht ihm

Spaß, lahm zu legen. Es gefällt ihm, wenn er zart bettet und überlagert, wenn er fest

zusammengeschoben und aufgehoben, wenn er getürmt und verdichtet, zerstreut und

zerdrückt wird. Es gefällt ihm, wenn einer ihn fasst und zwischen den Händen presst. Wenn er

schwer auf die Dächer der Häuser und Äste der Bäume drückt, wenn er Strommasten unter

sich knacken hört, Türen versperrt und Straßen unpassierbar macht, wenn er in krachenden

Lawinen eine Schneise in das Tal schlägt und dabei alles mitreißt, Bäume, Schober, Häuser,

Tourengeher und Schlittenfahrer, Schneeschuhwanderer und Sonnenanbeter, Schanzenbauer

und Schneeengel.

Es amüsiert ihn, wie wir tun, wenn der Strom ausfällt, wenn es heißt, es wird einige Tage

dauern, bis das Stromnetz wieder, wie wir den Campingkocher aus dem Keller räumen und

das Ablaufdatum der Konserven kontrollieren, wie wir nach Kerzen und Laternen suchen, wie

wir die Tagstunden nützen und uns nach Internet sehnen, wie es heißt, man solle im Haus

bleiben, weil die Zufahrtsstraßen nicht geräumt werden können und außerdem vielerorts

Lawinen abgehen und Bäume quer über Straßen ragen, dass man das nun aussitzen müsse,

und es schon einige Tage, wenn nicht Wochen dauern könne, dass man sich aber zu keinem

Zeitpunkt beunruhigen müsse und die Versorgung sichergestellt sei, dass andere noch viel

schlimmer dran, und es ja auch etwas Nostalgisches habe, dass es nun Zeit sei, die Bücher, für

deren Lektüre man nie Gelegenheit, neue Hobbys und gute Gespräche, Zeit mit den Lieben

oder jenen, mit denen man, aufgrund verschiedener Umstände zusammengepfercht ist in

eine Wohneinheit, und solle man alleine sein, dann ist angeraten, aber nicht nur den

Einsamen, sondern grundsätzlich allen, an Strukturen festzuhalten.

Routinen seien jetzt besonders wichtig. Man solle in der Früh aufstehen, wie man es immer

gemacht habe, besonders da man das Tageslicht nützen müsse, da es um fünf schon dunkel

werde und der Nachfrage an Batterie betrieben Lampen auf die Schnelle nicht

nachgekommen werden könne, der Preis für eine Kerze sich in den letzten Tagen verachtfacht

habe, wer könne, seinen Christbaumschmuck einschmelzen, die Taufkerze abbrennen oder

sich mit den armen Seelenlichtern aus der nächsten Kirche vor der Dunkelheit retten solle.

Vor allem aber solle man in der Früh aufstehen und sich anziehen, als würde man zur Arbeit

gehen, sich waschen und kämmen, am besten sogar schminken, den Tagesablauf

strukturieren und sich einrichten, in dem neuen Alltag.

Durch die Handkurbel-Radios, die als einzige Informationsmöglichkeit verbleiben, erfahren wir

von Psychologen, dass man sich bei aufkommender Unruhe zunächst fragen solle: Habe ich

heute schon gefrühstückt?

Dies sei kein Dauerzustand, aber man könne die Zeit ja nützen und von der allgemeinen

Entschleunigung profitieren, sich auf das Wesentliche besinnen, man könne es als Chance

sehen, als Startschuss für ein neues, bewussteres Leben, ökologischer und aufmerksamer,

minimalistischer und achtsamer! Man könne endlich zur Ruhe kommen und von jedem fear of

missing out lassen, da auch die anderen gerade nichts erleben, sondern nur häufiger als sonst

ihr Klo putzen. Wobei, sagen die Psychologen im Radio, es gefährlich sei zu denken, Erleben

sei nur draußen möglich und Bedeutung generiere sich nur im Sozialen, dass in Wahrheit

momentan auch drinnen viel zu erleben sei, aber es natürlich dennoch drücke, so wie der

Schnee das Dach wölbt und die Regenrinne herunterdrückt, und wenn es zu sehr drücke, man

leider momentan keine Hotline wählen, aber vielleicht mit der Nachbarin reden, oder ein

Stirnband häkeln könne.

Von weiten Spaziergängen wird auch abgeraten, da momentan niemand verhindern könne,

dass man unter einer Dachlawine oder einem brechenden Ast begraben werde, sodass man

sich auf Indoor-Sport verlegen solle und glücklich sind jene, die Yoga-Flow im Kopf und

Gymnastikmatten im Haus haben, um den Bohnensalat wieder abzutrainieren.

Und wenn uns das Wasser ausgeht, das Bier und der Schnaps, dann werden wir den Schnee

schmelzen, auf unserem Gaskocher und uns mit ihm das Gesicht und die Haare waschen, ihn

salzen und die Nudeln in ihm weich kochen und dabei zusehen, wie sich die Steinchen und

Zweige, die in ihm treiben, mit dem Pesto für die Vollkornfarfalle mischen.

Wir haben das strukturierte Herumsitzen satt und finden, wenn wir schon leben müssen wie

früher, dann zumindest wirklich und dass wir das eigentlich eh immer gern schon mal

probieren wollten.

Die Hütte in den Bergen, von den Urgroßeltern gebaut, an die Großeltern und von diesen an

die Eltern übergeben, ist von jeher mit dem Narrativ des Extremfalls verknüpft.

Die Urgroßmutter, die hier während des Kriegs mit den Kindern relativ unbehelligt gelebt hat,

abgesehen von den Tieffliegern, die am gegenüberliegenden Hang ihre Ladung abwerfen,

Krater in den Wald reißen, die sich mit Wasser füllen, zu einem runden Graben werden, an

dem wir am Weg zu den Heidelbeersträuchern vorbei kommen, wo der Großvater zu uns

sagt, schau, der ist damals durch eine Bombe entstanden, und wie die Bombe in unserer

Vorstellung die gleiche Größe des Kraters hatte und wir uns wundern, wo sie hin ist, nachdem

sie den Waldboden in diese Form gedrückt hat, dabei einen Pool hinterlassen hat, zu dessen

Durchquerung es mehrere Schwimmzüge benötigt, wie dieses Ding wegzuschaffen war, wie

sie es den Hang ins Dorf hinunter gerollt haben, ohne dass dabei eine tiefe Furche entstanden

ist, oder es mit einem Hubschrauber abtransportiert haben, der schwer an der Ladung zu

tragen hatte und von der Last immer tiefer ins Tal gezogen wurde, wie die Ballons vom

Weltspartag, wenn ihnen die Luft schon ausgeht und sie unentschlossen auf halber Höhe in

unserem Wohnzimmer hängen, immer wieder etwas zur Decke hin aufsteigen und beim

nächsten Luftzug absinken.

Wenn Krieg ist, bekommt man auf der Hütte wenig mit, niemand interessiert sich für diese

paar abgelegenen Holzhäuser und die verstreuten Menschen hier. Genauso wenn aus den

verschiedensten Gründen, und es fallen uns viele ein, das System, womit wir etwas Abstraktes

meinen, das wir nicht genau fassen können, aber das vieles umfasst und dem nicht so ganz zu

trauen ist, das der Bruder gerne komplett ausgehoben und umgewälzt sehen würde, während

wir anderen uns Verschiebungen wünschen, schrittweise und überlegte Veränderungen hin

zu einem unkonkreten Besseren, wenn dieses System auslässt, dann gibt es hier heroben auf

der Hütte alles, was man benötigt, um sich selbst zu versorgen, inklusive des GroßenSelbstversorger-Buches, in dem Bernd und sein Sohn Steffen in anschaulichen Bildern

nachvollziehbar den Weg von der eigenen Kompostieranlage über das Ausnehmen von

Hühnern, dem Einkochen haltbarer Chutney-Varianten bis hin zum Bau eines Brotbackofens

und eines Solarbads zeigen. So wie die Urgroßmutter sich hier während des Krieges abseits

gehalten hat, wie sie vor der Hütte Kartoffeln, Kraut und Sellerie angebaut hat, das Holz

kleingehackt, die Äpfel geerntet, die Kühe gemolken, den Hühnern die Eier, so werden wir im

Extremfall, wenn die Wirtschaft oder eine Supermacht, wenn ein Virus, oder Trump, dann

werden wir uns einen Gemüsegarten anlegen, den wir einzäunen werden, damit die Füchse

aus dem Wald in der Nacht nicht an unseren Pflanzen knabbern, damit wir nicht mit

Bandwurm in die ungewisse Zukunft blicken, werden wir Beerensträucher ziehen und

Vogelbeerschnaps brennen, Obstbäume veredeln und Schwammerln am feuchten Waldrand

kultivieren, werden wir Hühner und Ziegen halten, deren Milch uns nicht schmeckt, aber weil

wir vor den Kühen zu viel Respekt, werden wir Bäume fällen und Holz an der Hauswand

schlichten, um damit den Ofen im Wohnzimmer einzuheizen, der das ganze Haus und das

Wasser wärmt, werden wir von der eigenen Quelle trinken, werden wir uns selbst versorgen

und unabhängig sein, von allem was unten im Tal und draußen, im Rest der Welt, werden wir

uns zurückziehen und dann, überlegen wir, dann werden wir uns langweilen, so wie jedes

Mal, wenn wir als Kinder in den Ferien länger als vier Tage auf der Hütte sein mussten,

werden jammern, wieder heim zu wollen, zu unseren Dingen und den Freunden, in die Stadt

Langeweile wird es dann nicht geben, sagt der Bruder, wir werden genug zu tun haben, wir

werden es machen, wie die früher, und uns das Gewand selbst nähen, und viele Bücher

mitgenommen haben, und wenn uns diese ausgehen, schreiben wir neue.

Worüber wir diese Bücher schreiben wollen, will ich wissen, über die Hühner, und die

Schwammerl, überlegen wir, und es wird uns bei der Vorstellung schon fad, und wir hoffen,

der Extremfall, er bleibt noch bisschen aus, aber falls, dann hätten wir unsere Hütte hier, mit

dem eigenen Holz und der eigenen Quelle, und den potentiellen Kartoffeln, die anzubauen

niemand Lust hast, seitdem der Vater, dem das Umackern mit dem Gerät, das wir bei einer

Bosnien-Reise mitgenommen haben, so viel Spaß macht, bei jedem Versuch der Schwester

Gemüse zu pflanzen im Frühling wieder neue Furchen gräbt und es die jungen

Erbsenkeimlinge unter den Schaufeln zerreißt.

Und wir werden denken an die Urgroßmutter, die hier allein und effektiver geschuftet, um die

Kinder und die Tiere durchzubringen, die mit Grüß Gott, auf jedes Heil geantwortet hat, und

der man es hat durchgehen lassen, weil sie so viele Söhne beigetragen hat zum Krieg, und den

Urgroßvater sowieso. Und dass der Urgroßvater mit Nein gestimmt hat, das hat man auch

vergessen wollen, im Dorf, weil die Familie sonst ja schon in Ordnung, und hat vorsorglich den

Stimmzettel herausgefischt, und wegeräumt, damit der Bürgermeister sich nicht schämen

muss, und es ein sauberes Ergebnis. Wir werden denken an die Urgroßmutter, die hier

geschuftet hat, um nicht daran zu denken, wie der älteste Sohn nicht mit den anderen an der

Front, sondern in Berlin Tegel seit einem halben Jahr auf die Durchführung des Urteils wartet,

in seinen Briefen die Angst vor jedem Sonntag, wenn sie ihn holen könnten, weil er betrunken

einem Kollegen gegenüber erwähnt hat, dass er in seinem Zimmer das Bild von Hitler gegen

die Wand gedreht hat.

Dass wir jetzt, wo alles lahm liegt und still steht, uns auf die Hütte, dass uns der Bruder mit

dem Auto und wir das letzte Stück zu Fuß, mit dem Schnee bis zur Hüfte, trotz der

Warnungen der Mutter, dass dort die Lawinengefahr am größten, dass wir uns jetzt auf die

Hütte flüchten, kommt uns naheliegend vor, um dort ein paar Tage gemeinsam, da wir uns

sonst im Alltag kaum noch sehen und jeder wo anders, ohne uns jetzt aber etwas zu erzählen

zu haben, weil nichts geschehen ist, wir nur unsere Reflexionen des Eingeschlossen-Seins

austauschen können, unsere Ängste beim Wegfall der gewohnten Struktur. Um uns dann

gegenseitig einzugestehen, dass sich so viel eigentlich gerade nicht geändert hat für uns,

unser Leben sonst auch nicht so anders aussieht, außer dass es keine Veranstaltungen mehr

gibt, und man abends kein Bier gemeinsam, kaum Sozialkontakte, kein Essengehen, das

schon, und keine Möglichkeit wohin zu kommen ohne Auto, weil der öffentliche Verkehr lahm

liegt, und auch mit dem Auto kaum und nur stückweise, nur das Nötigste, weil sie mit dem

Räumen nicht nachkommen. Aber dass wir ansonsten eigentlich ähnlich privat leben und auch

sonst gern mal über das Anlegen eines Gemüsegartens oder das Häkelns eines Stirnbandes

nachdenken und uns eigentlich insgeheim schon lange wünschen, endlich mit Yoga

anzufangen.

Aber weil es jetzt nicht die Zeit ist, um etwas anzubauen, und es hier keine Tiere gibt, sondern

nur weiße Schichten vor den Fenstern, suchen wir uns etwas zu tun, aber wir tun es nicht wie

die Urgroßmutter, weil wir gar keine Ahnung haben.

Wir spielen Überleben, als wir versuchen Feuer zu machen mit dem schneenassen Holz,

sodass es die ganze Hütte verraucht und wir bei offenen Fenstern und mit dem Skigewand

und den Hauben schlafen. Wir räumen das Dach ab, damit es nicht von den Schneemassen

eingedrückt wird, wie wir es früher mit den Eltern gemacht haben, und wie damals springen

wir auch jetzt vom Dach in die Haufen, die sich unten türmen. Diesmal braucht es nicht viel,

der Schnee liegt jetzt schon so hoch, dass man als Ganzes verschwindet und fürchten muss,

nicht mehr heraus zu kommen, und wir versuchen es mit dem Schlitten und den Skiern und

mit Schwimmreifen, die wir im Keller finden, bis es dunkel wird, und es an der Zeit ist, es

nochmal zu versuchen mit dem Feuer, in der Hoffnung auf etwas Wärme und das Holz

diesmal trockener, und es nach etwas Probieren wirklich gelingt, und dann, als wir vor dem

Ofen sitzen, und unsere nassen Socken trocknen, planen wir ein Baumhaus am Waldrand, ein

Waldappartment, ein Zelt in den Gipfeln, das wir im Sommer vermieten oder selbst

bewohnen können, und zeichnen an den futuristischen Plänen, die wir umsetzen wollen,

wenn man sich draußen wieder bewegen kann.

Uns kommt außerdem vor, die Haustüre schließt schlecht, und es zieht herein, sodass wir sie

aus den Angeln heben, weil wir merken, sie ist verzogen. Mit der Säge aus der Werkstatt

zerschneiden wir sie in mehrere Teile, die wir gegengleich wieder zusammensetzen und

nageln Verstrebungen an, die die Türe zurückbiegen sollen in ihren Urzustand, damit sie

wieder zuverlässig schließt, und die Schwester streicht ein paar der neuen Leisten, damit es

nach was aussieht. Und als wir vor dem neuen Gebilde stehen, müssen wir feststellen, die

Türe geht jetzt gar nicht mehr zu, aber aussehen tut sie ganz gut.

Wir entfernen das überflüssige Stiegengeländer und montieren die gedrechselten

Holzverschallungen von der Decke, die der Urgroßvater dort angebracht hat, und heizen

damit den Holzofen, als uns das Holz ausgeht. An ein Baumfällen ist nicht zu denken, auch

ohne Schnee käme uns nicht die Idee, einen Baum zu fällen, weniger aus Footprint-Bedenken

heraus, meint die Schwester, sondern wegen der Geschichten über zerdrückte Körper und

zertrümmerten Oberschenkeln unter dicken Stämmen. Da schrauben wir lieber unnützen

Dekor von den Decken und Wänden. Die Innentüren heben wir aus den Verankerungen und

stapeln sie im Gang, damit die wenige Wärme gut zirkuliert. Aus dem Spinnrad der

Urgroßmutter wird eine Lampe und den Riffler für die Heidelbeeren verwenden wir zum

Frisieren. Das Bärenfell über dem Tisch, das komisch riecht, nehmen wir ab und drehen es

um, spannen es auf einen ausgehöhlten Stamm, machen eine Trommel daraus, auf der der

Bruder spielt und das Schlagzeug mit Töpfen, der Milchkanne und einer Kuhglocke erweitert.

Das Hinterglasbild vom Jüngsten Gericht, in welchem die Sünder mit verzerrten Leibern und

zähneknirschend in dunklen, wabernden Flammen schmoren, nehmen wir ab und wischen

daran herum, mit Spülmittel und Schwamm, bis nur mehr unkonkretes Rot zu sehen ist, das

uns besser gefällt und rahmen unser abstraktes Werk sorgfältig wieder. Die Schreibtruhe

fahren wir ins Bad, sie wird unsere Badewanne, in der wir Schaumbäder nehmen und mit der

Sense schneiden wir Würfel aus dem Schnee, die wir vor der Hütte auftürmen und in

Sitzelemente verwandeln.

Und abends brennen wir ein Feuer, und sitzen auf unseren gefrorenen Würfeln, mit den

Resten des Bärenfells als Polster, der Bruder trommelt und wir grillen Halloumi. Es kommt uns

vor, als würde uns die Urgroßmutter vom Waldrand her beobachten. Mit dem krummen

Kreuz, wie wir es von den Fotos kennen, sehen wir sie dort stehen und herüber schauen, zu

uns am Feuer, und sie wundert sich darüber, was wir mit ihrer Hütte machen, und wie wenig

wir uns auskennen, und wir bilden uns aber auch ein und überzeugen uns gegenseitig davon,

in ihrem Gesicht auch wohlmeinende Nachsicht zu erkennen.

Und als uns dann nach paar Tagen kalt wird, weil es zwischen den Spalten in der Tür

hereinweht, wir alles abnehmbare Holz verheizt haben, weil das Stirnband hässlich geworden

ist und uns das Überleben spielen keinen Spaß mehr macht, entscheiden wir, zurück in die

Stadt zu fahren. Mit den Schlitten fahren wir bis zum Auto, das schon halb eingeschneit ist

und am Rückweg kommen wir ins Rutschen, weil wir es eilig haben. Weil wir nicht verpassen

wollen, wenn nichts geschieht.